Spahnsche Zwangsmaßnahmen

veröffentlicht von am 16. Jul , 2019

Der Bundesgesundheitsminister sieht, man kann es ihm nicht verübeln, sehr viel Handlungsbedarf im deutschen Gesundheitswesen. Damit steht er nicht alleine, doch die Mittel mit denen er seine Auffassung durchsetzen möchte sind einzigartig. Desöfteren wurde ich schon in der Praxis nach meiner Meinung gefragt und so habe ich es hier zusammengefasst.

 

Impfpflicht

Am 5. Mai wurde ein Referentenentwurf veröffentlicht, der vorsieht, daß Kinder  beim Eintritt in die Schule oder den Kindergarten beide, von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Masern-Impfungen vorweisen müssen. Gleiches gilt für Personen, die in Gemeinschaftseinrichtungen arbeiten oder Kontakt zu den Kindern haben: Erzieher, Lehrer und medizinisches Personal. Am 14.7. wurde der Entwurf  nun auch auf eine Impfpflicht in Flüchtlingsunterkünften sowie für Tagesmütter und Kita-Mitarbeiter erweitert.

Es gibt vielerlei Stellungnahmen hierzu. Der Deutsche Ärztetag begrüßt die Ideen, der Ethikrat lehnt den Vorschlag ab, die Kinder und Jugendärzte stimmen zu und die Deutsche Gesellschaft für Familien- und Allgemeinmedizin lehnt sie ebenfalls ab.

Die Masernimpfung ist unstrittig sinnvoll. Aktuelle Daten aus Ländern in denen die Impfkampagnen zusammen gebrochen sind und die daraufhin mit einem Anstieg an Masern und Polio zu kämpfen haben, belegen dies erschreckend eindrucksvoll. Man sehe sich z.B. den dramatischen Anstieg in den letzten Jahren in Syrien an. Oder man betrachte die Wirkung wieder begonnener Kampagnen in Ländern wie Pakistan, in denen die Infektionsrate von mehreren Tausend auf einige Hundert gedrückt wurde.

In Deutschland

Und hier? Wir haben bereits eine Durchimpfungsrate von 95% bei Schulbeginn. Diese Rate ist so hoch wie man es nach derzeitigem Kenntnisstand braucht, um wiederkehrende Ausbrüche zu verhindern. Mit der Impflicht werden die nicht geimpften Erwachsenen ohnehin nicht erreicht. Die Befragungen in anderen Ländern der EU, die in diesem Punkt recht uneinheitlich ist, zeigen zwar, dass man mit der Impflicht die Quote auf 99% heben kann- aber um den Preis einer sehr viel geringeren Akzeptanz in der Bevölkerung, die dies als bloßen Zwang ansieht.

Es ist meine Überzeugung, daß jeder ärztliche Eingriff das volle Einverständnis des Patienten verlangt. Ich erwarte daher die Bereitstellung von Entscheidungshilfen, die als Grundlage für informierte Entscheidungen eingesetzt werden können. Es ist differenziert zu jeder einzelnen Impfung aufzuklären. Dies schließt die Offenlegung von Unsicherheiten und ungeklärten Fragen mit ein. Eine ehrliche Aufklärung der Ärzteschaft und der Bevölkerung könnte langfristig das Vertrauen in unser Medizinsystem stärken und die Impfbereitschaft für sinnvolle Impfungen erhöhen.
Aus meiner Sicht sind die Maßnahmen zu einer Verbesserung der Impfraten sind derzeit bei Weitem nicht ausgeschöpft. Von Zwangsmaßnahmen sollte in einem aufgeklärten demokratischen System Abstand genommen werden.

 

Soviel dazu. Dann gab es noch einen Aufreger:

 

Die Widerspruchslösung bei der Organspende

 

Im November letzten Jahres hielt der Bundesgesundheitsminister eine viel beachtete Rede, wie die Lösung des Spenderorganmangels aussehen könnte. Mittlerweile ist sein Vorschlag als “ Widerspruchslösung “ bekannt geworden.

Wie sieht es also aus in Deutschland?

In Deutschland stehen mehr als 9.000 Menschen auf der Warteliste für eine Organspende; jährlich sterben rund 1.000 Patienten, weil sie nicht rechtzeitig ein Organ erhalten. Auch einer meiner Patienten ist auf dieser Liste stehend leider verstorben. Im Jahr 2017 gab es 797 Organspender. Seit Ende letzten Jahres gibt es im Bundestag (und nicht nur dort) einen heftigen Disput, wie man in Deutschland dem Mangel an Spenderorganen beikommen kann.

Im Parlament gibt es dazu also zwei Gesetzesentwürfe:

 

1. Die doppelte Widerspruchslösung (doppelt, weil – auch ohne vorliegenden, schriftlichen Einwand des Verstorbenen – auch die nächsten Angehörigen einer Organentnahme noch widersprechen können).

Bei diesem von Abgeordneten um Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und dem SPD-Abgeordneten Karl Lauterbach eingebrachten Gesetzentwurf gilt jeder Bürger als möglicher Organ- oder Gewebespender, der zu Lebzeiten keinen Widerspruch erklärt und in ein Register eingetragen hat.

 

2. Die Zustimmungslösung:

Eine Gruppe von Abgeordneten um Annalena Baerbock (Grüne), Hilde Mattheis (SPD) und Katja Kipping (Linke) will der Bevölkerung über ein Online-Register die Möglichkeit geben, ihre Entscheidung einfach zu dokumentieren, jederzeit zu ändern oder zu widerrufen.

Zu regeln wäre dann vor allem die Weitergabe an Informationen zur Organspende, um eine selbstständige Entscheidung zu treffen.

Die Umfragen

Laut Umfragen möchten mehr als 80 % der Bevölkerung (nicht nur in Deutschland), dass sich die Zahl der Spenderorgane erhöht, so dass sich die Frage stellt: Warum spenden dann nicht mehr?

Warum ist die Situation in Deutschland so schwierig ? Nun es gab da einige Fehlentwicklungen:

– Seit 2010 wurde das Vertrauen der Öffentlichkeit durch zahlreiche Skandale erschüttert, bei denen es um eklatante Verstöße etlicher Transplantationszentren gegen bestehende Richtlinien ging.

– Eine sehr viel größere Rolle für den Rückgang der Organspenden spielten aber langjährige organisatorische Missstände in Organentnahmekliniken und die fehlende Vergütungsregelung – viele andere Länder haben gleiche Erfahrungen gemacht.

Diese Mängel wurden in Deutschland Ende März 2019 durch das erneuerte Organspendegesetz abgeschafft (offizieller Name: „Zweites Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes“, veröffentlich im Bundesgesetzblatt am 28.3.2019). Das Gesetz sieht u.a. rechtsverbindliche Vorgaben und die vollständige Vergütung für die Freistellung von  Transplantationsbeauftragten vor. Krankenhäuser erhalten zudem eine verbesserte Bezahlung für den gesamten Prozessablauf einer Organspende. Ein bundesweiter neurologisch/neurochirurgischer Rufbereitschaftsdienst soll gewährleisten, dass auch kleineren Krankenhäusern jederzeit qualifizierte Ärzte bei der Feststellung des Hirntodes zur Verfügung stehen.

Die Studie

Abgesehen von ethischen Bedenken: stimmt es denn überhaupt, dass wir mit der Widerspruchslösung automatisch mehr Spender haben? Das wurde tatsächlich in einer Vergleichsstudie untersucht.

Das Ergebnis:

  • Diese bislang umfassendste Vergleichsstudie zwischen 35 Staaten der OECD zeigt, dass es zwischen den Ländern mit Widerspruchslösung und denen mit Zustimmungslösung keine signifikanten Unterschiede bei der Zahl der gespendeten Organe gibt.
  • Die Zahl der Lebendspender war in Ländern mit Zustimmungslösung sogar erheblich größer als bei solchen mit Widerspruchslösung.

Ich bin der Ansicht, dass wir mit Informationen weiterkommen als mit Zwang. Sollte das nicht der Fall sein und die Zahlen sogar abnehmen so stimmt etwas an der Aufklärung nicht.

 

Es gibt noch andere Themen wie z.B. das unsägliche Telematikgesetz aber das soll für heute erstmal genügen.